Lehrstuhlspecial: Die International Audio Laboratories Erlangen
In unserem Lehrstuhlspecial stellen wir in jeder Ausgabe unseres Newsletters einen der Lehrstühle unseres Departments und den jeweiligen Lehrstuhlinhaber vor. Zu Ostern besuchen wir die International Audio Laboratories Erlangen (kurz AudioLabs) und unterhalten uns mit Prof. Jürgen Herre, dem Inhaber des Lehrstuhls für Audiocodierung.
Kurzinfo:
Name: Jürgen Herre
Lehrstuhl: Lehrstuhl für Audiocodierung (Lehrstuhl innerhalb der International Audio Laboratories Erlangen)
Forschungsgebiet: Wahrnehmung und digitale Audiosignalverarbeitung
Lieber Herr Herre, könnten Sie uns ein bisschen über sich erzählen? Wie sind Sie auf Ihr Themengebiet innerhalb der Elektrotechnik gekommen?
Ich war einerseits schon in meiner Jugendzeit am elektronischem Basteln von Dingen wie Lichtorgeln oder Synthesizern interessiert – das hatte sich als sicherer herausgestellt als meine vorherigen pyrotechnischen Experimente (lacht).
Andererseits war da meine große Liebe zur Musik, sei es mehr klassisch orientiert auf der Geige und dem Akkordeon, oder populär, also E-Gitarre beziehungsweise Keyboard. Letztendlich ging es meistens um guten Sound und da kann man mit der Elektrotechnik einiges dazu beitragen.
Was haben Sie dann genau studiert?
Ich habe Allgemeine Elektrotechnik hier an der FAU studiert. Maßgeblich beeinflusst haben mich damals die Vorlesungen von Herrn Prof. Schüssler zur Systemtheorie und digitalen Signalverarbeitung, sowie insbesondere die wunderbare Vorlesung „Sprachverarbeitung“ von – zu dieser Zeit – Privatdozent Ulrich Heute.
Nach dem Abschluss meines Studiums – 1989 wurde ich Diplomingenieur mit einer Arbeit im Bereich der Testens von integrierten Schaltungen am damaligen Lehrstuhl für rechnergestützten Schaltungsentwurf von Prof. Müller-Glaser – habe ich eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der damals neu gegründeten Arbeitsgruppe Integrierte Schaltungen AIS im gleichen Gebäude in Erlangen-Tennenlohe angenommen. Ich hatte gehört, dass es dort ein Projekt zum Digitalen Rundfunk (DAB) gab. Okay – man hörte oft geheimnisvolle Töne über den Gang, und ich hoffte, mich so meiner Liebe zur Musik von der technischen Seite zu nähern (lacht).
Nebenbei studierte ich dann noch einige Semester Musikwissenschaft an der FAU, um meine musikalischen Grundlagen abzurunden. Vor allem aber arbeitete ich im Fraunhofer-Team zur Audiocodierung in einer unglaublich intensiven Phase und in einem wunderbaren Kernteam bis 1995 an dem, was man heute weltweit als mp3 (ISO/MPEG-1/2 Layer 3) kennt.
Sie haben an der Entwickung von mp3 mitgearbeitet?
Ja, die Entwicklung fußte auf den Arbeiten von Karlheinz Brandenburg am FAU-Lehrstuhl Technische Elektronik von Prof. Seitzer. Sie fand in großer Konkurrenz zu anderen Verfahren und Forschungseinrichtungen statt. Meine Spezialität war unter anderem die gemeinsame Codierung der beiden Stereokanäle, die damals für manche – scheinbar einfache – Stücke große Schwierigkeiten bereitete. Tatsächlich hat der weltweite Erfolg von mp3 erst viele Jahre nach der Entwicklung ab ca. 1998 eingesetzt, als die PCs schnell genug zur Signalverarbeitung waren und das Internet allgemein verfügbar wurde.
Wie ging es dann weiter mit Ihrer Forscherkarriere?
Es folgte 1995 die Promotion und eine hochinteressante PostDoc-Zeit bei den damals legendären AT&T Bell Laboratories in New Jersey. In dieser Zeit folgte auch die Entwicklung des Advanced Audio Coding (AAC) Verfahrens, das heute in der einen oder andere Form in fast allen elektronischen Geräten der Unterhaltungselektronik enthalten ist, bis hin zum heutigen digitalen Radio (DAB+). Auch hier konnte ich wieder einige neue Technologiebeiträge liefern, die den Coder effizienter machten.
Es folgten – wieder zurückgekehrt zum Fraunhofer IIS – weitere Coder-Generationen mit immer weiter steigender Leistungsfähigkeit bis hin zu Unified Speech and Audio Coding (MPEG-D USAC) und MPEG-H 3D Audio, das alle denkbaren Audioformate von Mono bis zu großen Lautsprechersetups mit bis zu 24 Lautsprechern unterstützt. Zusammengefasst sind das Technologien, von denen Milliarden von Implementierungen heute existieren, jeder hat sie sozusagen in seiner Tasche. Dazu hat auch wesentlich die Fähigkeit des Fraunhofer IIS beigetragen, Dinge wirklich anwendungsreif zu machen und in den Markt zu bringen.
Und wie folgte der Schritt zur Professur?
Als die Idee der International Audio Laboratories Erlangen als gemeinsame Einrichtung der FAU und des Fraunhofer IIS etwa im Jahr 2008 Gestalt angenommen hatte, bewarb ich mich auf eine der damals sechs ausgeschriebenen Professuren und wurde nach dem üblichen Auswahlprozess zum 1. September 2010 – zusammen mit Prof. Bernd Edler – berufen.
Die AudioLabs sind ja eine etwas besondere „Konstruktion“, wie Sie schon angedeutet haben. Könnten Sie das noch etwas genauer erläutern?
Wie gesagt, die International Audio Laboratories Erlangen („AudioLabs“) sind eine gemeinsamen Einrichtung von FAU und dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. Sie wurde mit dem Ziel gegründet, Top-Forschung und Lehre durchzuführen, so dass viele Ergebnisse vom Fraunhofer IIS in die Anwendung umgesetzt werden können. Mehrere Professoren – auch ich – bekleiden gleichzeitig Führungspositionen am Fraunhofer IIS. Damit sind die AudioLabs eine besondere Konstruktion, die wir auch gerne wegen der engen Zusammenarbeit unter den fünf Professoren (neben mir sind das Prof. Bernd Edler, Prof. Emanuel Habets, Prof. Meinard Müller, Prof. Nils Peters) wie einen einzigen Lehrstuhl sehen.
Zusammengenommen haben die AudioLabs zur Zeit ca. 25 Doktorandinnen und Doktoranden, einen Koordinator – Dr. Stefan Turowski – sowie unser Assistenzteam. Das Team ist wirklich international aufgestellt, wir zählten zeitweise 12 Nationalitäten, die hier friedlich miteinander forschen.
Und ihr eigener Lehrstuhl?
Der Lehrstuhl für Audiocodierung ist einer der derzeit fünf Lehrstühle der AudioLabs. Meine eigenen Forschungsschwerpunkte liegen dort wo sich Wahrnehmung und digitale Audiosignalverarbeitung treffen: Da ist neben der gehörangepassten Audiocodierung – mp3 und die vielen Nachfolger – auch gehörangepasste Messtechnik, die versucht, aufwändige Hörtests durch automatische Verfahren zu ersetzen und damit eine Messung der Gesamtqualität vorzunehmen, einschließlich der vielen Einzelaspekte wie z.B. räumliche Schallverteilung
. Sozusagen ein automatischer Testhörer. Weitere Schwerpunkte sind Audio für Virtual/Augmented Reality, sowohl auf Kopfhörern als auch – und das ist etwas ungewöhnlich – über Lautsprecher.
Meine Professoren-Kollegen bearbeiten Themen aus den Bereichen Audiosignalanalyse, semantische Audiosignalverarbeitung, räumliche Audiosignalverarbeitung sowie Audio im Internet of Things.
Wo finden sich Ihre Forschungsgebiete im Alltag wieder?
Gerade die Audiocodierung hat seit Jahrzehnten ihren festen Platz in der Ermöglichung neuer Anwendungen auf allen medientauglichen Geräten eingenommen (zum Beispiel PC, Tablet, Handy, Home Receiver, DVD Player, digitales Autoradio). Beispiele sind Musikdownload und -streaming, Internetradio, Digitales TV/Digital Audio Broadcasting (DAB), Internet-Telefonie und Video Conferencing. Sie hat dadurch seit mp3 ein neues Zeitalter der Musikverteilung und -Nutzung aufgeschlagen und ist heute trotz steigender Speicher- und Netzwerk-Kapazitäten genauso aktuell wie eh und je angesichts der Vielzahl der gewünschten mobilen Multimedia-Anwendungen.
Welche Studiengänge kommen denn besonders häufig mit dem Lehrstuhl in Kontakt?
Unsere Studienangebote sind hauptsächlich auf Master-Level angesiedelt, denn sie fußen auf einer guten Kenntnis der digitalen Signalverarbeitung. Viele unserer Studierenden kommen aus den Studiengängen Elektrotechnik, Communications and Multimedia Engineering, Information and Communication Technology und Advanced Signal Processing and Communications Engineering. Außerdem bieten wir ein breites Audio-zentrisches Angebot aus fünf Vorlesungen, sowie Seminaren und Labs an, die den Anwendungsbezug verdeutlichen sollen.
Lieber Herr Herre, vielen Dank für dieses informative Interview!